Opernhaus Zürich, Zürich ZH

Aus Theaterlexikon - CH
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Eigenproduktionen mit festem Ensemble, Musiktheater und Tanz

Mit dem von der Theater-Aktiengesellschaft Zürich gegründeten Aktientheater in der umgebauten Barfüsserkirche an der Ecke Obmannamtsgasse/Untere Zäune (Standort des heutigen Obergerichts, Hirschengraben 13–15) verfügte die Limmatstadt erstmals über eine ständige Spielstätte für wandernde Schauspieltruppen. Eröffnet wurde es am 10.11.1834 unter Direktor Ferdinand Deny aus Berlin mit Mozarts "Die Zauberflöte". Der Theaterbetrieb war bis 1895/96 als Pachtbetrieb organisiert, der jeweilige Direktor trug das volle finanzielle Risiko und war von Schenkungen und Legaten der Zürcher Bevölkerung und von Subventionen der Stadt (erste Zahlung 1856) abhängig. →Charlotte Birch-Pfeiffer baute während ihrer Direktionszeit 1837–43 ein international beachtetes Repertoire auf, kapitulierte schliesslich aber vor den schwierigen (finanz)politischen Verhältnissen. →Richard Wagner, der sich 1849–58 in Zürich aufhielt, dirigierte am Aktientheater regelmässig fremde sowie eigene Werke. Vor und nach dieser Zeit kämpfte das Theater mit Krisen, die Pächterdirektoren wechselten fast jedes Jahr. In der Neujahrsnacht 1889/90 (nach anderen Quellen in der Nacht vom ersten auf den zweiten Januar 1890) brannte das rund 800 Personen fassende, sanierungsbedürftige Haus mit vier Galerien vollständig aus. Am Dufourplatz (heute Sechseläutenplatz) liess die Theater-AG in nur fünfzehn Monaten mit Hilfe der Stadt Zürich das neue Stadttheater, einen neobarocken Theaterbau errichten. Als Pläne lieferten die Wiener Architekten Fellner und Helmer ihren Entwurf für einen nicht realisierten Theaterneubau in Krakau. Am 30.9.1891 wurde es mit einem Prolog von Conrad Ferdinand Meyer und einem Festspiel von Carl Spitteler (Musik: →Lothar Kempter) eröffnet, am Tag darauf wurde mit Wagners "Lohengrin" die erste Oper gegeben. Erster Direktor und zugleich letzter Pächter war Paul Schroetter (1890–96), fortan übernahm die AG als Trägerin des Theaters die finanzielle Verantwortung. Nach neuen Geldnöten, die 1900 fast zur Betriebsschliessung führten, übernahm 1901 →Alfred Reucker die Direktion. Bei seinem Amtsantritt pachtete die Theater-AG das →Pfauentheater als zweite Spielstätte hinzu, wohin die Sparte Schauspiel zunehmend ausgelagert wurde. Als es 1921 aus finanziellen Gründen unterverpachtet wurde, trat Reucker zurück. 1926 wurden das Pfauentheater (nun umbenannt in →Schauspielhaus Zürich) und das Stadttheater und somit auch die beiden Sparten definitiv getrennt. Während der zwanzigjährigen Ära Reucker zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte das Stadttheater eine Blütezeit. Kempter, bereits seit 1877 (bis 1915) leitender Dirigent, dirigierte bis 1914 sämtliche Wagner-Opern, darunter 1913 eine Aufführung von "Parsifal", von der man lange Zeit annahm, es sei die erste ausserhalb Bayreuths gewesen, →Robert F. Denzler, 1915–27 erster Kapellmeister, etablierte Mozart im Zürcher Spielplan, →Hans Rogorsch (1901–29) war für einen grossen Teil der Inszenierungen verantwortlich. Reucker verhalf zeitgenössischen Opern zum Durchbruch, so wurden unter anderem mehrere Werke von Richard Strauss zur Schweizer Erstaufführung gebracht (1907 "Salome", 1911 "Der Rosenkavalier", 1912 die erste Fassung von "Ariadne auf Naxos" und 1916 "Elektra"), ausserdem entwickelte sich die Operette zu einer ausserordentlich erfolgreichen Sparte. Neben Offenbach und Johann Strauß, die zu Klassikern avancierten, wurden regelmässig Erstaufführungen vor allem von Lehár und Fall gegeben. Reuckers Nachfolger →Paul Trede (1921–32) förderte das Opernschaffen der Schweizer Komponisten →Othmar Schoeck und →Arthur Honegger und führte Strawinsky in Zürich ein. Nach der Abspaltung der Sparte Schauspiel 1926 wurde dem Ballett mehr Beachtung geschenkt, ferner lancierte Trede die Herausgabe der Jahrbücher. Unter seinem Nachfolger →Karl Schmid-Bloß (1932–47) und Denzler, der 1934–47 als musikalischer Oberleiter ans Stadttheater zurückkehrte, etablierten sich nach verschiedenen Vorformen 1936 die Juni-Festwochen mit internationalen Gastspielen, und das Stadttheater wurde zu einer der profiliertesten Uraufführungsbühnen für Opern (unter anderem 1937 Bergs "Lulu", 1938 →Paul Hindemiths "Mathis der Maler") und Operetten (unter anderem von Stolz, Künnecke, Kálmán, Reinshagen und →Paul Burkhard). Das Ballett erreichte unter den Ballettmeistern →Pia und Pino Mlakar (1934–38) mit ihrer dramatisch-expressiven Tanzsprache sowie unter deren Nachfolger →Hans Macke (1939–55) ein international konkurrenzfähiges Niveau. Die Tradition der Opernuraufführungen wurde unter den nachfolgenden Direktoren fortgesetzt. →Hans Zimmermann (1947–56) und der leitende Kapellmeister →Victor Reinshagen (1942–55) förderten insbesondere schweizerisches zeitgenössisches Schaffen (1949 Uraufführung von →Willy Burkhards "Die schwarze Spinne"). Unter →Karl-Heinz Krahl (1956–60) wurde Schönbergs "Moses und Aron" 1957 zur szenischen Uraufführung gebracht sowie 1956 mit Cole Porters "Kiss Me, Kate" erstmals ein Musical aufgeführt. →Nello Santi, den Krahl 1958 erstmals ans Stadttheater holte, war seither einer der prägenden Dirigenten. →Herbert Graf (1960–62) förderte durch Engagements junger amerikanischer Sängerinnen und Sänger und die Einrichtung des →Internationalen Opernstudios massgeblich die Internationalisierung des Opernbetriebs. Das auf ihn folgende interimistische Leitungskollektiv (1962–64 Emil Jucker, Werner Meyer, →Christian Vöchting) brachte 1963 →Rudolf Kelterborns "Die Errettung Thebens" zur Uraufführung. Mit dem Amtsantritt des Direktors →Hermann Juch (1964–75) erfolgte die Umbenennung des Hauses in O. Musikalische Oberleiter waren zunächst Vöchting und nach dessen Tod →Ferdinand Leitner (1969–84). Es entstand ein viel beachteter Mozart-Zyklus in der Regie von →Leopold Lindtberg; regelmässig standen Werke anerkannter zeitgenössischer Komponisten auf dem Spielplan, und der Ballettmeister →Nicholas Beriozoff (1964–71) verhalf der Ballettkunst in Zürich zu grossem Ansehen. Während der Intendanz von →Claus Helmut Drese (1975–86) wurde entschieden, das bestehende Haus umfassend zu renovieren und durch ein neues Betriebsgebäude zu ergänzen. Die Stimmbürgerinnen und -bürger bewilligten den Kredit 1980 trotz "Opernhauskrawallen" der Jugend, die sich mit diesen Protesten für eine alternative Kulturszene einsetzte, und am 1.12.1984 wurde das erneuerte Haus mit Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" wieder eröffnet. In den erweiterten Gebäudekomplex integriert wurden unter anderem die Studiobühne, ein Restaurant und das →Bernhard-Theater. Der bislang von der Tonhalle-Gesellschaft betreute Klangkörper für den Konzert- und Opernbereich wurde 1985 in ein Konzert- und ein Opernorchester geteilt, seither verfügt das O. über ein eigenes Orchester. →Ralf Weikert war 1983–92 in der Nachfolge von Leitner musikalischer Oberleiter. Drese initiierte einen legendär gewordenen Monteverdi-Zyklus mit dem Dirigenten →Nikolaus Harnoncourt und dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle. Harnoncourt ist seither einer der prägenden Dirigenten am O. Ferner wurden zwei Opern von Kelterborn (1977 "Ein Engel kommt nach Babylon" und 1984 "Der Kirschgarten") uraufgeführt. Die Ballettdirektorin →Patricia Neary (1978–85) studierte vor allem Balanchine-Abende ein und verhalf der Zürcher Kompanie zu weltweitem Ansehen. Unter der Direktion von →Christoph Groszer (1986–91) inszenierte Drese als Gastregisseur Wagners Tetralogie "Der Ring des Nibelungen", ferner wurde der unter Drese begonnene Mozart-Zyklus von Harnoncourt/Ponnelle fortgesetzt. Das Ballett leitete der ebenfalls noch unter Drese verpflichtete Ballettdirektor und Choreograf →Uwe Scholz. →Alexander Pereira, Intendant seit 1991, setzte sich entscheidend dafür ein, dass die finanzielle Verantwortung für das Opernhaus von der Stadt auf den Kanton Zürich übertragen wurde: 1994 pflichteten die Stimmbürgerinnen und -bürger des Kantons Zürich der Kantonalisierung des Opernhauses bei. Die AG (1991 in die "Opernhaus Zürich AG" umgewandelt) blieb als Trägerschaft bestehen. An die Betriebskosten steuert die öffentliche Hand seither rund fünfzig Prozent bei, den Rest erwirtschaftet das Haus durch Kartenerlöse und nahmhafte Sponsoringeinnahmen selbst und liegt damit europaweit an der Spitze. Pereira verfolgt das Konzept eines Repertoiretheaters mit rund vierzig Opern- und Ballettwerken – davon fünfzehn Neuproduktionen – pro Spielzeit. Manfred Honeck (1992–95 erster Kapellmeister), →Franz Welser-Möst (1995–2002 Chefdirigent und seither erster Dirigent) sowie die Ballettdirektoren →Bernd Roger Bienert (bis 1996) und →Heinz Spoerli (seit 1996) prägten seither das O. und verhalfen ihm zu internationaler Bedeutung. Ausserdem wirkten dort unter anderen regelmässig die Dirigenten Christoph von Dohnányi, Vladimir Fedoseyev und →Marcello Viotti sowie die Regisseure →Grischa Asagaroff, →Jürgen Flimm (1996–2000 Mozart-Zyklus), →Marco Arturo Marelli, Jonathan Miller, David Pountney und Robert Wilson (2000–02 Wagners "Der Ring des Nibelungen"). Verbandsmitglied: →SBV.

Spielstätte

Falkenstrasse 1, 8008 Zürich. Nach Plänen der Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Gottlieb Helmer (ursprünglich für Krakau angefertigt, dort aber nicht realisiert). Baujahr 1890/91, Eröffnung 30.9.1891. Umbau 1937. 1982–84 Renovation und Erweiterung durch Paillard, Leemann und Partner, Zürich. Logentheater im höfisch-barocken Stil mit drei hufeisenförmig angeordneten Rängen, Proszenium und Guckkastenbühne. Platzkapazität: rund 1200 Plätze. Bühne: 34 m breit, 11 m hoch, 23 m tief. Portal: 12,5 m breit, bis 8 m hoch. Fahrbarer Orchestergraben, verstellbar für bis zu 97 Musikerinnen und Musiker, als Vorbühne verwendbar. Hinterbühnenwagen mit eingebauter Drehscheibe (15 m Durchmesser). 5 Bühnenpodien 16 m x 2 m, Hub von –2 m bis +2 m, schräg stellbar 0–10%. 30 elektrische Prospektzüge, 6 Lastenzüge, 25 Punktzüge, 8 Hinterbühnenzüge. Die Studiobühne im Anbau fasst bis zu 220 Zuschauer.

Literatur

  • 150 Jahre Theater in Zürich. Zur Eröffnung des renovierten Opernhauses, 1984.
  • Zelger-Vogt, Marianne/Honegger, Andreas (Hg.): Stadttheater – Opernhaus, 1991.
  • Gojan, Simone: Spielstätten der Schweiz, 1998. Briner, Andres: Illusion und Wirklichkeit. Zürcher Theater von 1834 bis 1902, 2000.


Autor: Marco Badilatti



Bibliografische Angaben zu diesem Artikel:

Badilatti, Marco: Opernhaus Zürich, Zürich ZH, in: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Chronos Verlag Zürich 2005, Band 2, S. 1350–1352, mit Abbildung auf S. 1351 und 1352.